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Schicksalsbaum

Im Süden von Chios gibt es eine Gegend, die heißt Mastichoria. Das bedeutet, dass in dieser Gegend der Mastix – Baum angepflanzt wird. Der Baum heißt eigentlich anders (pistacia lentiscus) und ist eher klein und gedrungen, aber die örtlichen Bauern haben ihn seit Jahrtausenden kultiviert, um daraus das Mastix-Harz zu gewinnen. Dazu wird die Rinde des Baumes eingeritzt, worauf der Baum ein Harz absondert.

Bis hierher noch nicht der große Bringer, aber dieses Harz ist aromatisch, eine Art Kaugummi und Gewürz. Wie alle Gewürze wurde es in der ganzen bekannten Welt gehandelt – um viel Geld! Wie immer hatten die Bauern am wenigsten davon. Ein Baum bringt ca. 250 gr Harz pro Jahr, und 1 kg Harz kann er heute um 90 € verkaufen. Die gesamte Ernte in der Mastichoria ist rund 150 t pro Jahr. Da die Menge kaum steigerbar ist, war das schon immer in dieser Größenordnung und hohes Verlangen der Käufer steigert den Preis

Wer wirklich davon profitiert hat, waren die Herrscher und die Zwischenhändler. Wobei, da gab es auch kluge Herrscher: Einer hatte die Idee, 1/3 der vom jeweiligen Bauern bearbeiteten Fläche, dem Bauern zu schenken, wenn er 50% der Ernte auf diesem „Privatdrittel“ an den Herrscher abgibt.  Der Herrscher wusste, was an Ernte auf den anderen 2/3 möglich ist, und die Bauern hatten Mastix, den sie selbst verkaufen konnten. Ein für die Welt des Byzanz unglaubliches Privileg und eine echte win-win Situation

Die Venezianer und später die Genueser haben die Städte der Mastichoria befestigt. Innerhalb einer vier oder fünfeckigen Mauer wurden eng an eng Wohnhäuser errichtet. Zunächst eingeschoßig, als die Bevölkerung wuchs, wurde einfach ein Stockwerk drauf gesetzt und immer wieder die Gassen überbrückt, um weitere Fläche zu schaffen. Ein schönes Beispiel dafür ist der Ort Mesta

Im Ort Mesa ist das schön zu sehen, wo manche Gassen fast völlig dunkel sind, und die Häuser an manchen Stellen 4 Ebenen erhalten haben.

Bei so engen Verhältnissen, haben die wenigen freien Flächen rund um die Kirche eine wichtige Rolle für die Entspannung und Kultur in dieser Stadt gespielt. Auch heute kann man das noch gut nachfühlen.

In einem anderen Ort, in Pyrgi, der etwas großzügiger angelegt wurde, hatte man die Idee die Fassaden mit Sggrafiti (Putzkratzerei in weiß und schwarz) zu verzieren. Schaut sehr ungewöhnlich aus. Ich kannte das sonst nur von einem Haus im Waldviertel in Weyer und vom Vierkanthof im Freilichtmuseum in Stübming

Diese Privilegien der Bauern und Händler wurden auch unter der ottomanischen Herrschaft von 1200 bis 1850 ausgebaut und beibehalten. Die Besonderheit des Mastix-Baumes hat der Gegend Reichtum und Frieden beschert. Aber, die Bewohner der Mastichoria wollten mehr, sie wollten Unabhängigkeit. Und schlussendlich haben sie gegen die Herrscher aufbegehrt. Was dem zuständigen Pascha nicht wirklich gefiel. Er schickte ein 7.000 Mann Heer, um die 115.000 Bewohner von Chios zu disziplinieren – und der Herr gab keine zimperlichen Befehle:

  • Alle Personen, die sich an den Aufständen beteiligt haben sind zu töten.
  • Alle männlichen Personen unter 3 und über 40 Jahren sind zu töten.
  • Alle weiblichen Personen unter 3 und über 35 Jahren sind zu töten
  • Der Rest ist zu versklaven und zu verkaufen
  • Einzige Rettung für junge Männer wäre die Konvertierung zum Islam

Und so geschah es dann auch.
Zwischen Februar und Juni 1822 wurden 40.000 Menschen bestialisch umgebracht, 50.000 wurden versklavt, 15.000 konnten sich auf andere Inseln retten. An einem einzigen Tag wurden in einem Kloster 3000 Männer, Frauen und Kinder erstochen, enthauptet, ertränkt, verbrannt.

Man sagt, dass die Flecken auf diesem Marmorboden in der Kombination aus Feuer und Blut der Frauen und Kinder entstanden sind

Nur 1.500 Griechen konnten sich in den Bergen der Insel für die Monate des Massakers von Chios verstecken. Die auf der Insel lebenden Türken und Juden wurden natürlich verschont.

Und die Weltöffentlichkeit?
Sie zeigte sich bestürzt!
Na, wenn das hilft Wiederholungen in anderen Ländern zu vermeiden …
Ah, eh nicht!

Aber wir haben immerhin was für die Opfer und das Freikaufen der Sklaven gespendet. Das beruhigt das Gewissen ungemein.

Heute ist es rund um den Mastix-Baum friedlich geworden. Im unabhängigen Griechenland haben sich die Mastix-Bauern zusammen geschlossen, um den Anbau, die Verarbeitung und den Vertrieb gemeinschaftlich zu regeln. Und offensichtlich gelingt das ganz gut. Einfach auf ein Produkt Mastix drauf schreiben, ein Krümel Harz durch die Salbe, das Erfrischungsgetränk und den Kaugummi schwimmen lassen und dann teuer verscherbeln. Ja, OK, Mastix hat bewiesen, gegen Entzündungen tatsächlich zu helfen. Immerhin besser als Granderwasser oder Globuli.

ELMA = Ellada Mastix

Aber warum machen das die anderen Inseln nicht nach?
Der Busch, aus dem der Mastix-Baum hervor geht, gedeiht auf fast allen der Inseln als Teil der Macchie = des Buschwerks. In Chios aber haben die Bauern seit vielen Hundert Jahren den Baum „optimiert“, so dass schon geringe Verletzungen der Rinde deutliche Produktion des Harzes bewirken. Dabei hat sich auch eine Anpassung an die Bedingungen im jeweiligen Dorf ergeben. Das geht so weit, dass die Büsche je nach Ort etwas andere Blätter haben. Und diese Zucht auf den Standort hin, die fehlt auf den anderen Inseln und daher kann der Erfolg des Mastix nicht einfach kopiert werden.

Faszinierend, was so ein paar Harztropfen alles auslösen können.

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