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MAYDAY – MAYDAY

[ 14. Juni 2023, Kalamata ]

Am Mittwoch sind wir früh auf, also gegen 7:20, und werden sofort auf Aktivitäten auf der Mole aufmerksam. Da sind 10 Männer am Werk und versuchen ein Zelt aufzubauen. UNHCR steht in hellblauen Buchstaben drauf. Einer kommt zu uns: “Could you leave? We get immigrants and that can get dangerous for you.” Na Hallo, was ist da jetzt wieder los? Also wenn das denen wichtig ist, kann ich ja wo anders hin, aber vorher muss ich noch Wasser tanken. Deshalb steh ich ja auf diesem Platz.

Dazu muss ich aber zur Hafenbehörde, die eigentlich erst um 9 Uhr aufsperrt – heute sind sie aber schon um ¾ 8 aktiv. Ich frag kurz was los ist. „We get about 115 immigrants, 7 might be dead“ – Na Prack, das wollte ich eigentlich nicht miterleben. Wir tanken 350 lit Wasser, Susi und die Kinder verlegen die Philia auf unseren Standardplatz, während ich bezahle. Dabei schalten sie auch das Funkgerät ein:

„Mayday Relais, Mayday Relais – All ships, all ships – This is Hellenic Coast Guard – At position 36° 17,6’ N  021° 03,7 E a ship was sinking. Unknown number of persons in water. If you are close by, please report to Hellenic Coast Guard.” Der Ruf kommt alle 30 Minuten. Später hören wir, wie Frachtschiffe, Tanker und große Passagierschiffe zur Unfallstelle umgeleitet werden „Thank you for your cooperation, please report to warship Canaris for coordination at the rescue site“
Das Schiff Canaris ist vor Ort und koordiniert die Maßnahmen, teilt Suchbereiche ein, nimmt Beobachtungen entgegen.

„0,2 to 0,3 miles to starboard we identified a survivor. We turn around to pick him up.” “Helicopter is coming to assist the pickup”

Das war der einzige Funkspruch, bei dem von einem Überlebenden gesprochen wurde. Das war ca. um 10 Uhr.

Dort wo wir gelegen sind, stehen nun 15 Rettungswagen, Feuerwehr, viel Polizei, Zelte. Die Lagerhalle dahinter ist mit Matratzen ausgelegt. Man wartet auf das anrollende Drama. Kurz nach 11 kommt eine 93 m Superyacht, die Mayan Queen, in den Hafen geschlichen. Langsam, sehr langsam legt sie bei den Zelten an. Nach und nach, werden die Überlebenden von Bord gebracht, alle barfuß, alle in Decken gewickelt. Sie werden medizinisch erstversorgt, registriert und je nach dem in ein Spital verfrachtet oder in der Halle einquartiert. 4 Stunden liegt die Superyacht da.

Welche Ironie des Schicksals: Alles aufgegeben, eine lange gefährliche Reise angetreten, das wenige was man hatte auch noch verloren, fast auch noch das Leben – und dann kommt einen strahlend weiße Superyacht mit Allem in größtem Überfluss, nimmt Dich mit und  – und bringt Dich in eine Lagerhalle! In einem Land, das Dich nicht will und in das Du auch nicht wolltest. Und mit größter Wahrscheinlichkeit wirst Du Dich am Startpunkt Deiner Reise wieder finden. In Syrien, Pakistan, Afghanistan. Oder Du tauchst unter, wirst illegal und vielleicht auch kriminell, nur um zu überleben.

Natürlich ist jetzt die Presse da, man will Betroffenheit und Entschlossenheit zeigen – und ins Fernsehen kommt man auch. Auf einem Bild des ORF erkennen wir im Hintergrund die aufgerollten Segel der Philia. Hätte ich nicht gebraucht. Die Presse ist hartnäckig und sucht nach einer Wahrheit, die man verschleiern will. So nach dem Motto: Da muss doch jemand Schuld haben, zum Beispiel die Küstenwache.

Am Abend nimmt der Trubel ab. In der Dunkelheit fahren zwei einfache Lastkähne in den Hafen und legen sich an die Mole hinter uns. Gabelstaper rücken an und verladen übergroße Paletten mit schwarzen Säcke in Kühlcontainer. Die aufgesammelten Toten, 79 an der Zahl. Weitere 3-400 (!!!) werden im versunkenen Wrack vermutet.

Uns nimmt die ganze Sache sehr mit. Es ist halt ein Unterschied, ob man das im Fernsehen als 45 Sekunden Meldung präsentiert bekommt, oder ob das den ganzen Tag unmittelbar vor Dir passiert. Hätten die Überlebenden irgendetwas gerufen, wir hätten sie gehört. 100 m und ein Zaun, das war alles, was uns von dem Drama getrennt hat.

Am Abend stolpert ein Fischer an der Philia vorbei, und bekommt mit, dass wir über das Unglück reden. „Aber über die Frau in xxx verstorben ist, weil die Rettung nicht gekommen ist, über die redet niemand. Weil ja auch alle Rettungen den ganzen Tag „bei denen da“ stehen.“ Volksseele – auch in Griechenland.

Ich hab dann bei der Hafenbehörde gefragt, wie oft sie denn Immigranten Anlandungen haben. 3 bis 6 x pro Jahr kommt das schon vor – aber in viel weniger dramatischem Ausmaß und damit fast unbemerkt.

Am selben Tag ist übrigens auch ein Segelboot gesunken, dass mit Migranten in der Türkei beladen wurde und auch am Weg nach Italien war. Kaum ein Wort war darüber zu hören. Da waren dann aber „nur“ 27 Personen drauf. Philia ist für 8 Personen zugelassen.

Wir überlegen lange, was man tun kann, wenn man auf so einen Seelenverkäufer trifft. Eigentlich nichts. Man kann aus sicherer Entfernung die Küstenwache rufen, aber die Funkgeräte gehen nur bis zum Horizont. Handy – Spielzeug! Kurzwelle – geht vielleicht, falls grad wer zuhört und die Verbindung klappt. Hinfahren? Dann wird unser Boot gestürmt und in der sich entwickelnden Unruhe am Seelenverkäufer kippt der dann vielleicht auch noch um.
Vielleicht könnte man versuchen ein Frachtschiff zu erreichen, dass in Rufreichweite ist. Die haben Satellitentelefonie und können dann zumindest die Küstenwache verständigen.

Türkische Segler haben uns berichtet, dass sie in den Meerengen zwischen den Ländern schon öfter Flüchtlingsboote gesehen haben. Sie haben versucht am Notrufkanal die beiden Küstenwachen zu verständigen – eine Reaktion – von beiden Seiten.

Und dann …

Ratlos und ernüchtert bleiben wir zurück.

200 bis 250 Personen sind schon alleine auf diesem Bild zu sehen.
Wer von denen hat es bis Kalamata geschafft?

Jeder zweite ist ertrunken.
Von denen im Zwischendeck und im Laderaum alle!!

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