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Reise

9 Stunden für 10 Minuten

Also Chalkis, was ist da wieder los. Eine Straßenbrücke, die für die Schifffahrt geöffnet wird – so what? Na, so ganz einfach ist das nicht:

Die ganze Zeit schon hat uns die Strömung begleitet, und die ist auch die Herausforderung an der Brücke. Man hört da von unglaublichen Strömungsgeschwindigkeiten und seltsamen Phänomänen. Aber die wollen wir selbst sehen, später.

Zuerst müssen wir an der richtigen Stelle anlegen, am Stadtkai, längsseits. Da sind genügend Segler unterwegs, die unsere Leinen gerne entgegennehmen. Der Stadtkai ist so was wie das Bermudadreieck in Wien: ein Lokal neben dem anderen, die meisten in guter Qualität und gut besucht. Und hunderte Menschen, die da auf und ab flanieren, um gesehen zu werden. Irgendwie kommt man sich da beobachtet vor. Als wollte man auf der Kärntnerstraße campieren.

Da zuzuschauen, dazu haben wir gerade keine Zeit. Wir müssen das Büro der Port Authority suchen, um uns für die Brückendurchfahrt anzumelden. Am Weg dort hin kommen wir an der Brücke vorbei: Was da an Strömung los ist, alle Ehre! Mit mindestens 3 kt strömt das Wasser von Nord nach Süd. Das ist fast so schnell wie ein engagierter Spaziergänger. Da gibt es alles was man sonst an Wildflüssen findet: Scherwasser, Rückströmungen – sogar einen Wildwasser Slalom Strecke hat da jemand installiert. Am Meer! Unglaublich.

Wildwasser am Meer – mit wechselnden Richtungen

Eine Leuchtschrift verkündet den Autofahrern, dass die Brücke heute „wahrscheinlich“ zwischen 01:35 und 02:35 geöffnet sein wird. Nicht weit davon ist die Einfahrt in den Hafen und in einem Container Büro die Stelle der Brückenkasse. Nett zu plaudern ist es mit der Dame, und sie macht ihren Job mit Geduld und Freude. Nur von der Brücke hat sie keine Ahnung.

„Wie geht das denn heute und um welche Zeit?“, unsere durchaus berechtigte Fragen. Die einzige Information die wir bekommen können: Ab 21:00 auf Kanal 12 zuhören. Die Port Authority wird sie dann aufrufen.
„Wann geht es dann los?“ – Die Port Authority wird das sagen. Es hängt vom Wasser ab, wie sich das gerade verhält. Der Hinweis auf der Brücke ist eigentlich nur ein Hinweis. Gestern war es um 03:30, so ungefähr.

Wäre irgendwie nett, wenn man das eingrenzen könnte. Ist es wirklich so spät, könnte man ja eine Runde schlafen. So sitzt zumindest einer die ganze Zeit am Funkgerät und traut sich nicht weg. Zum Glück haben wir unsere Handfunke mit dabei. So sind wir wenigstens mobil.

In der Zwischenzeit haben wir Hunger bekommen und holen uns 3 Pizzen aufs Schiff. Wirklich tolle Pizza, nicht nur weil wir schon lang sowas nicht gegessen haben. Ein Abendessen „sub auspiciis“, unter Beobachtung. Da sind locker ein paar Hundert Leute am Schiff vorbei gegangen und haben geschaut, was wir da so machen. Nach dem Essen ziehen sich die Damen nach unten zurück. Nur zum Lesen. Bald aber verkündet der tiefe Atem, dass dem Lesen eine tiefe Augenentspannung gefolgt ist. Nein, geschlafen haben sie nicht, sicher nicht.

Ich bemerke, dass die Strömung gekentert ist. Jetzt geht die Post in die andere Richtung ab. An der Brücke gurgelts und zischts. Fischer versuchen in dem Wasserchaos ihr Glück. Und die Quallen, die vor einer Stunde noch nach Süden unterwegs waren, finden sich nun im Norden wieder. Einzelne Einheimische versuchen gegen die Strömung unter der Brücke durchzukommen. Ihre kleinen Motorboote sind voll gefordert und trotzdem dauert das Unterfangen mehrere Minuten. In der Mitte, neben unserem Liegeplatz 300 m von der Brücke entfernt, erinnert die Strömung an die hochwasserführende Donau. Von den 7 kt bei der Brücke sind bei unserem Liegeplatz also noch 4 kt übriggeblieben. Irre, absolut unfahrbar mit unserer Yacht.

Was aber ist das Besondere an der Tide in Chalkis: Im Nordhafen ist sie 80 cm hoch, im Süden nur 25. Dann haben die beiden Flutwellen noch 30 min unterschiedliche Zeiten. Führt der Höhenunterschied zu der starken Strömung, gibt es ein weiteres Phänomen: Normalerweise gibt es immer eine Zeit von rund 1 bis 2 Stunden, in denen die Strömung „kentert“, also das Wasser steht. Wegen der beiden unterschiedlichen Flutwellen ändert sich die Strömung innerhalb von Minuten und ist dann immer gleich sehr heftig. Wie einen Wasserfall den man umdreht. Die Brücke kann also nicht bei Wasserhöchst oder Niedrigstand passiert werden, sondern wenn sich die beiden Ströme in einem sanften Gleichgewicht befinden.

Da der Straßenverkehr nicht behindert werden soll, nimmt man so ein Gleichgewicht in der Nacht. Lustig nur, dass für eine Passage in der Nacht ein 25% Zuschlag berechnet wird, ohne dass eine Passage bei Tag angeboten wird. Auch eine Möglichkeit der Einkommenssteigerung. Naja, 40 € muss einem der Spaß schon wert sein. Das lange Warten ist im Preis inbegriffen.

Es wird 9, der Funk bleibt ruhig, um 10, 11, 12, 1, immer noch keine Anzeichen, dass es – zumindest laut Anzeige auf der Brücke – bald losgehen soll. Um 2 wird ein Franzose ungeduldig und fragt nach, wann es denn losgehen wird. „The Port Authority will inform you – stand by“. „Thanks“ Wenigstens ein bisschen was könnten sie schon sagen, die Dame am Funk. Aber immerhin hat sie zum Abendessen ein Gewitter gekocht, dass sich jetzt in unmittelbarer Nähe entlädt. Wir hoffen, dass das nicht zu uns zieht, denn eine Brückendurchfahrt  mit Strömung und Windböen in finsterer Nacht, das muss echt nicht sein.

Point of no return. DIe Brückeist schon nacht hinten / unten gefahren

Kurz vor 3 geht’s dann los. „Philia“ „This is Philia“, meldet sich Susi. “Prepare your ship, but don’t move yet. We will call you, Captain”. Na denn, so bereiten wir uns vor. Leinen umlegen, Checken, ob das Manöver auch funktionieren wird, die Uferkante könnte im Weg sein – passt aber. Lichter an, Motor an, los geht’s. Die Strömung hat auf ein erträgliches Maß abgenommen. „North going ships first“ Wir gehen nach Süden.  Und dann werden sie der Reihe nach aufgerufen. Es sind nur 2 in der Gegenrichtung, also legen wir ab, sobald der Erste sichtbar wird.

Durch!

Wir sind als letzte an der Reihe. Leni fährt in die Strömung und schummelt sich so hin, dass die dann genau mittig durchfährt. Schon spannend, so eine Nachtfahrt. Gleich nach der Durchfahrt, dort wo die Nordfahrer gewartet haben, suchen wir uns einen Ankerplatz. Das Radar zur Unterstützung ist da echt hilfreich. Wir sehen alle Schiffe, auch die ohne Ankerlicht. Wir sehen die Ufer, wo sie tatsächlich sind und können dann die Wassertiefen auf dem Plotter ablesen.

Ein Platz ist schnell gefunden. 50 m Kette für eine ruhige Nacht, gut eingefahren. Passt. Kurz vor 4 ist dann Ruhe.

Aber nicht zu lange: Um ½ 6 weckt uns ein rumpelndes Geräusch. Immer dann, wenn eine Windböe durchzieht, rumpelt die Ankerkette – sollte sie aber nicht. Schnell den Ankeralarm prüfen – wir rutschen! Offensichtlich sind wir zu nahe an der Hauptströmung, dort wo der Grund noch felsig ist. Was soll man machen: Anker auf! Wieder mit Radar einen Platz suchen und die Kette in die finstere Tiefe lassen. So, jetzt hält er aber! Da ist es dann aber schon so hell, dass ich gleich das Ankerlicht ausschalte. Spart auch Energie.

Wie weit sind wir in diesen 9 Stunden gekommen? Ein paar hundert Meter – mehr nicht. Spannend war’s schon, aber die Warterei hätte man anders gestalten können.

Die Leute von der Port Authority sind halt noch nie mitgefahren, durch ihre eigene Brücke.

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