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Reise

Nur nach Skyros

Um 5 klingelt der Wecker, und wenn der das am Schiff tut, ist immer was besonderes los. Heute steht eine dringende Abfahrt an. Jetzt kann ich mir einen Zeitpolster holen, falls die Fahrt nach Skyros doch nicht so schnell wird wie ich mir das wünsche. 10 bis 12 Stunden soll die Reise dauern, und damit komme ich noch bei guten Tageslicht im geplanten Hafen an.

Der ist allerdings etwas speziell: Man hat eine Marina gebaut, die nie fertig wurde, und die Anfahrt ist nur in windarmen Zeiten gut möglich: Zwischen Felsen 3 x 90° Kurven, keinerlei Navigationshilfen wie Tonnen oder Lichter. Bei Dunkelheit absolut unmöglich, also rechtzeitig da sein!

Die so gefürchtete Kafireas Straße zeigt sich lieblich. Windstill und kaum Wellen, auch für die Gegenströmung, das kann bei Meltemi bis zu 7 kt sein, schläft heute. Ich beschleunige Philia auf 6 kt, was der Motor bei nur 2000 Umdrehungen locker schafft. Bis zu 3200 könnte er, will ich aber nicht – wozu auch. Nach kaum einer Stunde setzt brauchbarer Wind ein. Genau von hinten, 15 kt. Da bleiben dann nach Abzug aller Taxen 5 kt Fahrt übrig. Auch die Windräder auf Euböa, mehr als 70 habe ich gezählt, nehmen die Arbeit auf. Also, Genua heraus! Das Großsegel bekommt heute nichts zu tun, das würde nur stören.

Bis zum Ende der Straße nimmt der Wind immer mehr zu und erreicht sogar 30 kt, am Schiff spürt man immer noch 24 davon – weil ich dem Wind ja davon fahre. So viel wollte ich eigentlich nicht, aber Philia rauscht mit 6,5 bis 7 kt dahin. Schnell, richtig schnell. Wenn ich geahnt hätte, was heute noch an Höchstgeschwindigkeit dazu kommt …

Sobald sich die Kafireas Straße öffnet, nimmt der Wind wieder etwas ab und gut ist’s. Philia pflügt friedlich dahin. Vor mir liegt die Ostecke von Skyros und im Lee wird es sicher angenehm werden. Eine Reise um einfach zu genießen – so schön kann segeln sein.

Schon um 14 Uhr bin ich an der Ostecke angekommen. Was mich da verwundert ist, dass da plötzlich auch Wellen sind, die so um die 45° aus einer andern Richtung kommen. Unerklärlich woher. Jedenfalls wird das Wasser sehr kabbelig und Philia taumelt dahin. Auch der Wind nimmt langsam zu, aber das kann ja bei einem Kap immer gut sein. Mach ich halt die Genua kleiner und es geht dann schon.

So biege ich ab, um im Lee die Küste entlang zu fahren, mit etwas Abstand natürlich. Zwei oder drei Meilen oder so. Jetzt sollte der Wind im Lee der Insel aber abnehmen.

Sollte, er will aber nicht. Im Gegenteil, von 20 auf 28 auf 35. Na holla, was ist denn da los? Die Genua noch kleiner machen. So kann ich das Schiff kontrollieren, aber ich kann kaum näher ans Land heran fahren. Jetzt kommen auch noch Böen mit 40 kt (70 km/h) daher. Wo wird das aufhören?

Entspannt und lustig ist das schon nicht mehr, das ist anstrengende Arbeit. Und nebenher hab ich noch eine Aufgabe zu lösen. Wohin will und kann ich eigentlich? Die Marina bei Achilles – 3x ums Eck bei 40 kt, unklar ob sie versandet ist oder nicht – also mit langsamer Fahrt – und dann Anlegen als Solist, bei dem Wind …. Nein das wird nichts.

Plan B?
Ja gibt’s. Ganz im Norden, beim Flughafen sind zwei Buchten, die ich ansteuern könnte. Das wäre noch 15 Meilen, also 3 Stunden in dem Sturm. Ist aber meine einzige Chance!

Mittlerweile legt sich Philia in den Böen schon tüchtig auf die Seite. In den Wind drehen will ich nicht, damit die winzige Genua nicht anfängt zu flattern und sich zerstört. Abfallen, also mit dem Wind zu fahren, das geht. Da sind dann sofort 10 kt weniger Wind, aber ich entferne mich auch vom Land. Auch irgendwie ein Topfen.

Da melden sich auch noch meine Stalker aus Wien. „Schnell bist Du“ – ja, ich weiß. Meine Antwort ist knapp: „Ka Zeit, 40 kt“. In dem Moment reißt sich das große Solarpanel los und hängt nur mehr an einem Kabel. Zum Dank dafür schlägt es mir mit seiner Kante in den Rücken. Gut dass ich ein Notfallswerkzeug im Navigationstisch habe. Seitenschneider, abzwicken, Panel in den Salon bugsieren, weiter machen.

Jetzt geht es nur mehr mit dem Wind – aber wohin? Und wie? Nur mit dem „nackten“ Mast, also vor Top und Takel, rennt Philia mit 4,5 kt nach Norden. Da ist vor allem viel freies Wasser, das ist gut, da kann man nirgendwo anstoßen. Bin ich sicher, aber wo komm ich da dann hin? Östliche Sporaden, Kalkidiki, Kavala? Ob ich das will wird da nicht gefragt. Philia rauscht dahin und verlangt nach einer Entscheidung.

Meine Stalkerinnen sind alarmiert und beginnen mit eingehenden Wetterberatungen. Jetzt!
Da kommt noch der Ratschlag mit Motor zurück nach Skyros. Mit 29 PS gegen 40 kt? Der Wind ist stark genug, mich mit Rumpfgeschwindigkeit nach Norden zu schieben. Wenn ich mit dem Motor dagegen schiebe, dann bleibe ich am Fleck. Kann ich mit meinen 108 Litern Diesel ungefähr 30 Stunden machen – sinnlose Aktion.

Böen bis deutlich jenseits der 30 kt

 Was ich aber herausfinde ist, dass mich der Wind nur knapp nördlich von Lemnos vorbei treiben wird. Vielleicht kann ich ihm die paar Grad weiter südlich zu fahren abluchsen. Ein erster Versuch klappt. Auch dass der Wind auf 25 kt runter geht gibt Hoffnung.

Jetzt kommen ein paar Screenshots auf mein Handy. Sehr bunte Bilder über Wind und Wellen am Weg nach Limnos. Bunte Wetterbilder sind nie gut, das bedeutet viel Wind. Gut wäre gleichmäßges helles Blau oder in bisschen Grün. Orange oder gar Pink sind nicht so meine Sache. Richtig übel wäre Violett – mehr als 50 kt – muss echt nicht sein.

Also der Weg nach Limnos verspricht zunehmenden Wind (mehr als 30 kt) und zunehmende Wellen (gut 2 m). Was solls, da muss ich jetzt durch. Wird schon gehen, andere machen das ja auch. Ich halt bisher noch nicht. Und ich bin ja nicht alleine. Mein Autopilot ist ein ganz potenter Kerl und steuert auch unangenehme Welle ganz gut aus.

Ich hab also ein paar Minuten den Rest der Reise zu planen. Mit dem Plotter geht das ganz fix – Autorouting nennt man das. So ähnlich wie beim Auto. Und da wird mir sofort eine Ankunftszeit verraten – natürlich mit allen Unsicherheiten. So gegen 2 Uhr Nachts wäre vielleicht möglich. Na dann, klingt ja nicht so schlecht.

Zur Sicherheit kann ich sogar noch 15° höher an den Wind als der direkte Kurs erfordert. Sollte der Wind später drehen oder die Welle zu unangnehm werden, kann ich abfallen und (hoffentlich) trotzdem mein Ziel erreichen. Kostet halt einen Umweg von 10 Meilen oder 1 ½ Stunden, aber ich will jetzt wirklich auf der sicheren Seite sein. Vier Stunden hab ich jetzt noch Licht mich an Wind und Welle zu gewöhnen. Wie steuere ich das händisch, was macht der Autopilot. Damit ich später nicht drauf vergesse, schalte ich jetz schon meine Navigationslichter ein. Ich bin zwar in einem Gebiet, in dem kaum jemand unterwegs ist, aber egal.

Was man auf www.marinetraffic.com sehen konnte. Das Bild zeigt meine Position um ca. 2 Uhr Früh

Solange ich selbst steuere, halte ich das Gewackel gut aus. Wellen die von schräg hinten rechts kommen, heben zuerst das Schiff rechts hinten an und versuchen es nach links zu drehen. Dann, wenn die Welle genau unter dem Schiff ist, fällt das Heck nach rechts ins Wellental und der Bug schwingt nach links. Gleichzeitig schwankt der Rumpf, weil er ja im rechten Winkel zur Wasseroberfläche sein will. Zuerst also Neigung nach links, dann sehr rasch nach rechts. Kommen gleich mehrere größere Wellen, schaukelt sich das auf. Mehr als 30° Neigung sind da schon drin. Bei 15° kommt im Schiff alles ins Rutschen und knallt irgendwo dagegen.

An Deck kann ich mich kaum mehr halten. Selbstverständlich habe ich die Schwimmweste an und bin immer mit mindestens einer Lifeline mit dem Schiff verbunden. Alles andere könnte tödlich sein. Wäre nicht das erste Schiff, dass ohne Besatzung wo ankommt.

Wenn ich oben bin, aber „nur“ dem Autopiloten zusehe, bekomme ich die ersten Anzeichen von Seekrankheit: schlechtes Gefühl im Magen, Aufstoßen, vermehrt Speichel. OK, ich hab ja seit Skyros nichts mehr getrunken oder gegessen, dazu hab ich keine Zeit. Im Navigationstisch liegen noch ein paar uralte Travelgumms. Die haben wir so zu sagen mitgekauft. Da hole ich mir jetzt einen. Der soll nur den Nachteil haben, dass er müde macht. Aber bei dem Adrenalin Spiegel wird das schon gehen. Außerdem hab ich aus genau diesen Gründen zwei Dosen Energydrinks im Kühlschrank. Aber das Zeug muss noch warten.

Ich wechsle mich mit dem Autopiloten ab. Einmal fällt mir auf, dass eine Anzeige, nämlich der Kurs vom Autopiloten verstellt ist. Bitte jetzt kein Schaden am Autopiloten – oder gar an der Steueranlage. Jetzt werde ich besonders hellhörig. Kommt mir vor, dass ich gelegentlich ein Geräusch höre, als würde Metall über Metall rutschen? Kann, soll, darf nicht sein! Jedenfalls werde ich der Steuerung in den nächsten Tagen besonders viel Liebe und Fett zukommen lassen.

Da, wieder das Geräusch! In einem Moment in dem der Ruderdruck besonders hoch war, klar, große Welle, hab ich plötzlich keine Steuerwirkung mehr! Das gibt’s doch nicht. Die Verschraubung des Steuerrades ist locker – das Rad dreht sich durch. Jetzt, bei dem Wetter !?! Doch halt, der Autopilot greift über einen anderen Weg auf die Steuerung zu. Sofort einschalten und das Schiff unter Kontrolle bringen. Ich stürze hinunter zum Notfallswerkzeug. Da muss ein kleiner Franzose (verstellbarer Schraubenschlüssel) dabei sein. Da ist er! Sofort wieder rauf, richtig eingestellt und die Mutter wieder angezogen. Passt wieder! Aber der kleine Franzose darf heute im Cockpittisch übernachten.

Langsam wird es dunkel und die Wellen sind im fahlen Licht nur zu erahnen. Der Himmel hat sich heute komplett bedeckt, der Halbmond zaubert ein gespenstisches schwaches Licht. Was man erkennen kann, sind die Schaumkronen, und davon gibt es einige. Im Schein der roten und grünen Navigationslichter sieht man ein bisschen was nach vorne, aber das ist nicht relevant. Das ist schon vorbei oder man erreicht es nicht. Das Hecklicht leuchtet aber auch nur am Rande in die Richtung der anrollenden Wellen. Also eigentlich weiß ich nicht, was in den nächsten Sekunden auf mich zu komm., Aber alle 5 Sekunden kommt was – versprochen.

Für eine Richtung in die man taumeln möchte, gibt es außen keinerlei Referenz mehr. Der magnetische Kompass, der auf 30° zeigen sollte, pendelt lustig zwischen 60° und 0° hin und her. Wie soll man das manuell steuern – schleierhaft, wie das auf Regattajachten möglich ist. Aber mein Autopilot versieht unbeirrt seinen Dienst. Auch auf die Geschwindigkeitsanzeigen kann man sich nicht verlassen. Rauscht Philia eine Welle hinab, schießt die Anzeige nach oben, rutscht sie den Wellenrücken hinunter – den Bug hoch in den Himmel gestreckt, rutscht auch die Anzeige nach unten. So pendelt sie zwischen 7,5 und 3,5 lustig hin und her. Selbst das GPS ist mit dieser Bewegung überfordet. Egal, die Richtung passt und irgendwann werde ich ankommen.

Langsam vergehen die Stunden. Die Ankunftszeit hat sich gegen 4 Uhr verschoben. Das hab ich natürlich sofort nach Hause übermittelt. Ich bin zwar mehr als 40 km von jedem Mobilfunkmasten entfernt, aber das Handy geht. Ich werde langsam müde, es gibt ja nicht viel zu tun. Aufpassen, dass alles funktioniert, hoffen, dass nichts passiert. Und vorallem aufpassen, dass mir nichts passiert. Bei jede Schritt gut festhalten, weich in den Knien, um die Bewegung zu dämpfen. Ein paar Rippen sind schnell lädiert.

Zeit für den Energy Drink. Keine Idee wie Jugendliche auf das Zeug stehen können. Ich finde das übel, die viele Kohlensäure macht das Zeug bei dem Wetter nicht verträglicher. Aber mir geht’s ja um die „belebende Wirkung“. Zuerst wird mir aber übel. Muss ich nun kotzen oder nur die Kohlensäure loswerden? Vorsichtig probieren – gut, nur die Kohlensäure. Die ganze Dose – eh nur 0,2 lit -ist mir aber zu viel. 1/3 hebe ich mir auf, versuche die offene Dose in der Abwasch so zu verkeilen, dass sie nicht umfällt. Naja, der Schaden wäre überschaubar.

Im Schiff zu sitzen ist ganz gemütlich: warm, trocken. Gelegentlich prasselt eine Gischtfahne aufs Deck. Schön, dass ist jetzt herunten bin. So einen Schwall Wasser ins Gesicht – muss nicht sein. Der Salontisch ist sauber wie sonst nie – liegt halt alles am Boden oder auf den Bänken. Was aufheben hat keine Sinn, fliegt bei der nächsten Welle ohnehin nur wieder durch die Gegend. Einfach liegen lassen und auf die Seite schieben, so dass ich nicht draufsteige und die Sauerei noch vergrößere.

Gegen Mitternacht bin ich südlich der kleinen Insel Agio Geogoros. Da gibt es auch einen kleinen Hafen. In dem möchte ich heute aber auch nicht sein. Da steht die Welle voll hinein, und die Wellen sind mittlerweile gut 2 m hoch, sagt man – ich sehe sie ja nicht.

Gleich nach der Insel, kann ich meinen Kurs nach Norden wenden. Der Wind kommt jetzt von hinten und ich werde Mirina auf alle Fälle erreichen. Das war das Ziel der Übung. Nur, wie komme ich jetzt nach Mirina hinein?

Mirina ist ein großer Fährhafen, hat also ein weißes Leuchtfeuer, dass man 10 Meilen weit sieht. Die Einfahrtsmole hat an den Molenköpfen je ein rotes und ein grünes Licht. Und die alte Mole ist auch noch beleuchtet. Das sollte man finden. Was man nicht findet, sind zwei Kaps mit vorgelagerten Inselchen, die genau in meiner Richtung liegen. Und dort ist es natürlich finster. Die Einheimischen kennen sich aus, und die Fremden sollen gefälligst bei Tag ankommen.

Wieder hilft mir die Elektronik. Ich kann den Pfad in den Hafen einprogrammieren und dem Schiff sagen, dass es genau diesem Pfad folgen soll. Vier Stunden kann ich das jetzt erproben. Unter Motor geht das gut, unter Segel hab ich das noch nicht probiert. Und bei diesen Wellen …

Die laufen mir nun genau nach. Da pendelt Philia zwar nicht so, dafür macht sie was anderes. Sie surft, sie schießt die Vorderseite der Wellen hinab, mehr als 9 kt habe ich gemessen. Das ist viel mehr als wir je mit dem Schiff gefahren sind. Da die Wellen nur wenig schneller sind als ich, dauert es eine Weile bis sie mich überholen. Dann aber sitzt Philia oben drauf, links und rechts grugelt und zischt es. Zuerst am Heck, dann in der Mitte und zuletzt am Bug. Dann ist die Welle durch und die nächste wartet schon darauf, mich vorwärts zu schieben. Erstaunlich, aber von hinten kommt bei all dem auf und ab kein einziger Spritzer ins Cockpit

Wäre ja schön, wenn das so weiter ginge. An die 23 kt Wind hab ich mich schon gewöhnt, doch 23 + 7 ist auch wieder 30. 30 Knoten, da sind sie wieder. Aber ich muss ja noch um die beiden Kaps herum, dazu muss ich diesen „bequemen“ Kurs verlassen und ein wenig anluven. Sofort gibt es mehr Schaukelei, sofort drückt mehr Wind in meine winzige Genua.

Im Schiff wird es laut, richtig laut. Das Geschirr scheppert bei jedem Schwanken, die Töpfe klappern und schlagen von innen gegen die Kästen. Ich glaub, die muss ich morgen nur mehr auskehren, weil da alles hin ist. Zum Glück springt keiner auf. Alles bockt und schüttelt. Ich verkeile mich am Kartentisch, stelle meinen Handywecker auf 15 Minuten. Eindösen kann ich eh nicht bei dem Lärm und den Bewegungen, aber ich hab wenigstens einen Moment, um mich zu entspannen. Nach 15 min muss ich wieder nach oben schauen. Ist halt alles sehr mühsam, da oben. Frei stehen geht gar nicht, nur angeleint kann man sich bewegen. Stehen hinter dem Steuerrad geht, es ist halt so, wie im Takada im Prater, nur eben nicht 5 Minuten sondern 12 Stunden. Oder ich verklemme mich auf der Bank hinter dem Steuerrad, die Hände links und rechts in den Heckkorb gekrallt, die Ellenbogen durchgestreckt. Dann wackle ich mit dem Schiff mit. Irgendwie gut auszuhalten, aber auch anstrengend. Wieder lieber hinunter.

Da fällt mir eine Seglergeschichte ein: Bei wildem Wetter wurde einem Schiff Wasser in den Auspuff gedrückt, bis hin in den Motor selbst. Wenn man den dann starten will, geht das nicht, weil der Zylinder ja mit Wasser gefüllt ist. Den Motor kann man dann im nächsten Hafen als Totalschaden versenken. Ich  brauch meinen aber noch.

Was tun? Auch dazu hab ich eine Seglergeschichte: Da hat jemand bei so einem Wetter den Motor vor dem Starten immer händisch durchgedreht, um zu sehen ob das eh geht. Wenn nicht, einfach nicht starten. Dann müsste ich in den Hafen segeln, nicht üblich, aber es geht. Händisch durchdrehen, das könnte ich bei meiner Maschine auch. Da ist vorne eine große Mutter, da kann man einen Steckschüssel anstecken und direkt die Kurbelwelle des Motors drehen.

Jetzt hab ich aber Glück gehabt und von meinem Weihnachts Engerl / Bengerl einen Stecknusssatz mit großen Durchmessern geschenkt bekommen. Zu Hause hab ich noch gehadert, wie ich die aufs Schiff bekommen. 6,5 kg ist das Set schwer, das wäre sich mit dem Gepäck beim besten Willen nicht ausgegangen. Also hab ich eine Auswahl getroffen: Was sind die gängigsten Schlüsselweiten? Meine Schulbücher haben mir da Auskunft gegeben. Und dann hab ich 3 Nüsse und den Ratschengriff mitgenommen, das ging sich aus.

Also, trotz aller Wackelei tief in die Salonbank getaucht. In Werkzeugen, Ersatzteilen und Geräten herum gewühlt und – voi la – da, der Griff und hier die Nüsse. Aber ist die passende auch dabei? Volvo Ingenieure waren sehr kreativ bei der Auswahl der Schrauben hab ich schon gelernt. Hoffentllich!

Sie ist dabei, die 24er Nuss. Jetz noch den Motorraum auf – alles ganz manierlich, trotz der Schaukelei. Die Nuss angesetzt und vorsichtig gedreht. Nach ¼ Drehung Widerstand! Aber kein harter, so wie das nicht komprimierbares Wasser tun würde, eher weich. Ich probier nochmal – geht. Es war nur einer der Zylinder gerade im Kompressionstakt. Dann der zweite und der dritte. Erleichterung. Trotz meiner seitlichen Fahrt, wenn Philia von den Wellen rutscht, ist kein Wasser in den Auspuff gekommen. Hoffnung.

Ganz leicht kann ich das rote Hafenlicht schon sehen, das grüne noch nicht. Und das weiße Licht auch nicht. Gefahr! Ich bin noch im Sektor mit den Untiefen – nur nicht zu früh abbiegen, auch wenn das rote Licht lockt. Das Schiff der programierten Route folgen lassen. Ich bin jetzt natürlich immer oben, zu groß die Aufregung. Was würde ich tun, wenn sich die Einfahrt nicht aus geht? Gallipoli? Istanbul? Es wird sich ausgehen! Philia folgt so exakt der Route. Es wird.

Letzte „Kurve“, nur 20° Grad in den Wind. Der frischt natürlich sofort auf, wieder stehen 35 kt auf der Anzeige. Und die Wellen zeigen nochmal was sie so können. In Landnähe werden sie höher als draußen am Meer und der Winkel zu den Wellen ist auf noch mehr Taumelei getrimmt. Wenn ich mir vorstelle, ich müsste das händisch Steuern. Jedesmal, denn der Bug 40° nach links oder rechts ausbricht kommt mir so ein Gedanke – und er kommt oft. Es würde schon gehen, denn die Lichter sind ja jetzt da, auf die kann man zielen, aber es wäre unglaublich anstrengend. Als würde man ein Rodeo reiten.

So aber taumelt sie dahin, verlässt aber ihren Kurs nicht. Autonomes Fahren – Philia kann, was Tesla seit Jahren verspricht 😉. Die Einfahrt kommt näher und damit ein Ende der Wellen. Ich kann schon genau die Molenköpfe unter den Lichtern erkennen. Gut, dass diese Einfahrt für die Fähren gebaut ist. Da treffe ich auf alle Fälle hinein. Die Taumelei nimmt vor der Einfahrt etwas ab – sehr brav.

4 Uhr 30 – geschafft! Sobald ich im Hafenbecken bin, wird es ruhig. Den Motor, der die letzten 2 Meilen mitgelaufen ist, kann ich drosseln (lieber 2 Antriebe, safety first). In den Vorbereitungen zum Ankern nur nicht die innere Mole anvisieren, die hat aber auch ein Licht. So, wohin jetzt genau? Der Wind pfeift auch im Hafen mit 20 kt. Ein nettes Plätzchen suchen und den Anker fallen lassen. Die Ankerwinde dreht sich so schnell wie nie, da sich Philia sofort quer stellt und der Wind sie herum schiebt – ein letztes Mal. Bei 50 m Kette lasse ich es genug sein, der Anker liegt ja nur 5m tief, die Kette ruckt ein, der Anker sitzt sicher.

Fertig! Vollzugsmeldung nach Wien – große Erleichterung dort. Susi hat auf Marinetraffic.com meine AIS Signale verfolgt, die ganze Nacht. Selbst die 9 kt hat sie mitbekommen. Sie fällt jetzt ins Bett. Ich noch nicht. Ich bin viel zu vollgepumpt als dass ich mich jetzt hinlegen könnte.

Der Ankerwache zusehen, Chaos beseitigen. Wie ist denn das da hin gekommen? Warum liegt die Küchenwaage in der Abwasch und die Wasserflasche unter dem Tisch auf dem kleinen Kühlschrank? Etwas trinken, etwas essen, Bordbuch fertig schreiben. 144 Meilen (255 km) in 23 Stunden! Das macht unglaubliche 6,2 kt im Durchschnitt.

Irgendwann, über Mirina wird der Himmel schon ganz zart heller, kann ich mich entspannen, lege mich hin, schlafe ein.

Am Tag danach: Mit Hilfe von MATILDA gut am Steg angekommen

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