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Die lange Reise in den Süden

Der Sonntag ist der Tag des Crew-Wechsels. Nachdem Philia aufgeräumt und der Proviant ergänzt wurde, weitere 80 Flaschen Wasser kamen an Bord, reisen Sophie und Felix ab. Statt ihnen kommt Clemens als dritte Person an Bord.

Letzter Sonnenuntergang in Tisno. Noch ist alles ruhig

Er reist mit dem Bus an, der widererwarten pünktlich ist und „darf dann noch Duschen gehen.

Fußraum und Bordtoilette im Nixbus

Um ¾ 3 verlassen wir Tisno endgültig, tanken in Murter noch 70 Liter Diesel und motoren noch durch die flache Einfahrt von Murter. Beim Leuchtfeuer von Prsnjak werden die Segel gesetzt und der Motor abgeschaltet – für viele Stunden.

Alles ist vorbereitet, alles ist gut.

Im zu Ende gehenden Tag nehmen wir Kurs auf die Insel Vis. Um 19:30 geht die Sonne unter, wir schalten das Navigationslicht und das AIS an und segeln auf gerader Strecke durch die Nacht. Der Wind lässt ein wenig nach, so dass wir die Segelfläche hin und wieder anpassen müssen. Aber warum eigentlich „wir“? Es gibt einen ausgefeilten Wachplan, und das bedeutet, dass immer nur einer von uns die Schiffsführung überhat. Die anderen haben „Freiwache“ dürfen, nein sollen sogar schlafen. Für Magdalena, die die Prüfung erst seit wenigen Stunden bestanden hat, oder für Clemens, der unser Schiff überhaupt noch nie gesehen hat, eine sehr aufregende Sache. Selbst wenn das Wetter sehr gnädig ist, die Navigation sich auf eine gerade Linie ohne jegliche Hindernisse beschränkt, ist das für „Anfänger“ eine große Herausforderung. Magdalena berichtet nachher, von einem Ruhepuls im Liegen von 85 /s – und sie ist eigentlich recht fit.

Bei Sonnenaufgang passieren wir die NE Ecke von Vis und fahren, da die „gefährlichen“ Inseln gut zu sehen sind, auf demselben Kurs weiter. Erst bei Lastovo wird er auf einen östlichen Kurs geändert. Es ändert sich aber auch der Wind. Sein sollte es ein NW Wind, der eine rasche Fahrt ermöglichen soll. Tatsächlich finden wir aber einen reinen N-Wind, und haben plötzlich mit 20 kt Wind aus 60° zur Fahrtrichtung zu tun. Bei den ein gerefften Segeln ist das schon „hart am Wind“. Die heranrauschenden Wellen tun ihr übriges.

Geht doch, oder?

Wir wollten gegen 16 Uhr in einer Bucht 20 Meilen südlich von Dubrovnik sein. Jetzt sagt das Navi-Programm ein ETA (estimated time of arrival = geschätzte Ankunftszeit) von 2 Uhr Nachts vorher. Wenn wir dieses Tempo halten, müssten wir eigentlich gleich durchfahren, um das Wetterfenster in der Straße von Otranto noch zu erwischen. Heute ist dort starker Rückenwind, zu stark, der wird in einen ebenso starken Südwind umschlagen. Dazwischen gibt es ein paar Stunden gute Bedingungen.

Philia schaukelt in den Wellen südlich von Mljet, in mir schaukeln die Gedanken: Noch 10 Stunden in die Bucht. Wo wären wir, wenn wir 10 Stunden in Richtung Italien ablaufen. Wie weit wäre es dann noch nach Bari oder Brindisi? Wäre das machbar? Wäre das sinnvoll für die gesamte Reise? Ich rufe die Crew zusammen und wir beraten uns kurz. Dann wird noch das Fahrverhalten auf dem Vorwindkurs Richtung Bari ausprobiert. Eine Frage in die Runde: Machen wir!

Gleichzeitig wird unsere „Homebase“ in Wien informiert. Dort sitzt Susi vor dem Computer uns beobachtet unser AIS Signal in einer Marine App (marinetraffic.com). Als wir ihr erzählen was wir vor Haben, meint sie nur: „Hab ich eh schon gesehen!“
Big Mama is watching you! Wetterbericht gibt es dafür dann aber auch gleich dazu.

Der Mond leuchtet uns den Weg. Ist doch nett. Die Sterne lassen sich aber nicht fotografieren. Das gent bei dem Wackelnden Schiff einfach nicht.

Wir segeln also in die 2. Nacht. Nur mit Genua, denn die ist sehr flexibel auch von nur einer Person zu bedienen. Hinter uns verschwinden die kroatischen Inseln im Dunst. Zum Ausgleich wachsen dafür die Wellen empor. Gut 1,5 m sind die größeren nun hoch. Aber die sind harmlos, denn sie laufen in die gleiche Richtung wie wir. Das Heck wird also angehoben und senkt sich wieder. Ganz gemütlich schaukelt Philia so dahin. Genau nach Wachplan begeben wir uns in die Kojen und finden sogar guten Schlaf. Beim Wachwechsel müssen wir richtig geweckt werden.

Um Mitternacht, zum Beispiel, weckt Clemens mich auf. Damit ich rasch munter bin mit einer netten Nachricht: „Da ist ein großes Schiff, das kommt genau auf uns zu!“ – fesch. Am Radar ist ein Punkt zu sehen, das AIS verrät uns, wer der Übeltäter ist: HAS YEHIA, ein 150m langes Tankschiff kommt da die Adria herauf. Kollision in 40 min. Na, da haben wir wenigstens noch etwas Zeit unsere Sachen zu packen – oder die Kollision zu vermeiden.

Nach den Regeln der Seefahrt, sind wie ein Schiff unter Segeln – also ein Segelschiff, und haben daher gegenüber Motorschiffen Vorfahrt (Anm.: Den Puristen unter den Lesen ringelt es jetzt die Zehennägel auf, aber wenigstens der Sinn des Verfahrens ist so Wiedergegeben). Also wir müssen nichts anderes tun als geradeaus weiterzufahren. Aber: Hat mich der gesehen? Da greif ich doch lieber zum Funkgerät:

Has Yehia, Has Yehia, Has Yehia, this is Sailingvessel Philia, Philia, Philia.
Dann geschieht einmal – nichts. Der erste Offizier muss vielleicht erst aufwachen.
„Who is calling Has Yehia“
Sailingvessel Philia is calling. We are on a collision course. We will meet in about 40 min. We are a sailing vessel under sail. Please give way.
Das sollte ja normalerweise genügen.
“I don’t see you on my RADAR – untermalt von einer heftigen Rückkopplung – What is your position”
Kann er haben, damit er sie richtig versteht auch gleich zwei Mal.
„What is your course“
230 °
„We change course to starboard“ Das wäre nach rechts, um hinter mir durch zu gehen. So sollte es auch sein. Alleine, das AIS zeigt keine Kursänderung an! Wir sind dem egal und er legt es einfach drauf an: Mehr Gewicht, mehr Rechte – steht so aber nicht in den Regeln.

Nach ein paar Minuten meldet er sich und will mich am Kanal 9 sprechen. Da hör nämlich keine Küstenwache zu.
„Going to starboard is to complicated for us“ Häää – der muss nur den Kurs um 3 Grad verdrehen.
“We maintain course and pass green by green”

Also er will überhaupt nichts machen und wir sollen unseren Kurs so anpassen, dass wir rechte Seite an rechter Seite aneinander vorbeifahren. Das ist erstens sehr unüblich und zweitens bedeutet das für uns eine Halse zu fahren und die Segel von rechts nach links und später wieder zurückzubringen. Aber was tut man nicht alles, um zu überleben.

Have a pleasant trip, hören die noch von mir. Was solls, Widerrede ist zwecklos, da die Entfernung nun schon so gering ist, dass er gar nicht mehr ausweichen kann.

Führt fast von alleine. Wie ein Tesla – nur sicherer

Dann sind wir wieder alleine. Die Wellen haben nachgelassen, sind runder geworden. Der Autopilot hält das Schiff wunderbar auf Kurs. Ich sitze im Cockpit, warm angezogen und eingehüllt, höre Musik und bewundere den unglaublichen Sternenhimmel. Für alle die in der Stadt wohnen: Es sind noch alle Sterne da – wenn man das Licht, also alle Lichter ausschaltet, dann sieht man sie auch. Hier draußen, in der Mitte der Adria ist kein künstliches Licht und selbst der Mond ist noch nicht aufgegangen.

So fällt mir zum Beispiel auf, dass ich genau unter dem „kleinen Wagen“ sitze und damit den Polarstern fast exakt über mir habe! Den hab ich schon lang nicht mehr wahrgenommen. Nach 2 Stunden kommt mich Magdalena ablösen und ich darf wieder in meinen Schlafsack. Erst um 6 bin ich wieder dran.

Aber was für ein Erwachen: Es ist so, als würde man in einem Wohnmobil Vollgas über eine kurvige Schotterstraße brettern. Es kracht, es schüttelt und rüttelt, in der Kabine fliegt alles herum. Ich kann mich kaum aufsetzen, geschweige denn anziehen. Nur Clemens, der grad im Cockpit sitzt, findet das alles seeehr entspannt. Wir fahren mit 5-6 kt, und die Wellen sind „halt jetzt anders“.

Anders heißt in dem Fall, dass sie nicht mehr von hinten anrollen, also nicht nur, aber auch. Viel mehr hat sich eine zweite Welle dazu entwickelt, und die bringt der 23 kt starke Wind, der uns fast entgegen bläst – nix mehr mit Rückenwind und so. Die Wellen sind also äußerst konfus, kommen von Links oder rechts, überlagern sich, werden deutlich höher, an den Spitzen spritzen oft 1 m hohe Fontänen in die Höhe. Es dauert nicht lang, bis ich so einen Schwall abkriege. In Voraussicht hab ich die Sprayhood geschlossen. Das hilft zwar dem Cockpit und dem Niedergang, meinem Gesicht aber nicht – Danke für die Dusche!

Was mir noch auffällt: Wir machen wenig Fahrt und der Kurs passt irgendwie nicht gut. Segel ganz dicht holen, hilft – aber der Kurs? Wo fahren wir hin? Schaffen wir die Einfahrt nach Bari anzusteuern? Wie kann ich die Information bekommen? Ich weiß wo sie steht, am Plotter, aber wie komme ich das hin, ohne dass das Schiff Unfug macht. Also ein paar Sekunden Autopilot werden schon gehen. Und dann weiß ich: Bari geht – vielleicht, wenn ich mich anstrenge und der Wind nicht dreht und die Abdrift nicht zu stark ist. Viele Wenn´s und nur eine Einflussmöglichkeit, aber ich muss es versuchen!

Rodeo Modus! Das Schiff schlingert in den Wellen, ich versuche die Fahrt hochzuhalten – das bedeutet weniger hoch am Wind zu fahren, und versuche gleichzeitig möglichst weit westlich auf das Festland zu treffen. Und das bedeutet wiederum, möglichst hoch am Wind zu fahren, was wieder Geschwindigkeit kostet. Bei dem kleinen Vorsegel komme ich nicht näher als 55° an den Wind heran. Unter anderen Bedingungen wäre das locker 10° besser. Besser für die Geschwindigkeit, besser für den Landfall.

Um die Sache noch netter zu machen: Das Schlingern des Bootes in den Wellen beeinflusst den Windwinkel zusätzlich. Das Spiel kann beginnen. Geschwindigkeit möglichst über 4 kt halten, damit das Schiff sich nicht in den Wellen feststampft, aber nicht über 5 kt kommen, denn das kostet Höhe und damit vielleicht den „Sieg“.

Wie lange ich da so vor mich in kämpfe? Na, so gut 3 Stunden konzentrierte Arbeit ist angesagt. Das Dumme ist nur, ich hab keine Zeit klar zu navigieren. Wo ist die Hafeneinfahrt? Schaffe ich diese Ecke, gibt es noch Reserven?

Da kommen mir Fährschiffe zur Hilfe. Sie Steuern Bari an und ich kann klar verfolgen, wie man in den Hafen kommt. Ich schleiche mich an und zwicke mich nach dem 2. Schiff in die Hafeneinfahrt. Draußen sind noch zwei weitere unterwegs, aber die sind offensichtlich angewiesen, eine größere Kurve zu fahren um für mich Zeit zu schinden -DANKE! Trotzdem werde ich in der Einfahrt beinahe von Nummer 3 überholt, doch ich kann mich um die Ecke der Mole in das Hafenbecken für die Kleinschiffe retten.

Der im Hintergrund wird immer größer!

Geschafft! Anlegen im Yachtklub ist dann eher Routine und gelingt uns, als hätten wir die ganze Nacht darauf gewartet, endlich dieses Manöver zeigen zu dürfen.
Aber ehrlich: Wir sind alle drei ziemlich geschafft! Nach 214 Meilen in 30 Stunden darf man das auch.
Nur die Aussicht auf eine Dusche und das italienische Dreigestirn aus Pizza, Cappuccino und Eis halten unsere Lebensgeister aufrecht.

Pizza Mageritta
Cappuccino mit Pistazien Croissant
Das schwarze ist nicht Tintenfisch, das ist dunkle Schoko mit Mandel

Am Nachmittag wird auch das erledigt – und Pläne für die nächsten Etappen geschmiedet!

2 Tage, 2 Nächte, 1 Entscheidung
rot = Tag, blau = Nacht

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