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Reise

Der große Sprung

Ich habe den Wecker auf meinem Tablett gestellt. Kaum läutet er, husche ich leise aus dem Bett. Türe möglichst zu, um Susi noch ein paar Minuten zu schenken. Schnell in mehreren Schichten warm anziehen. Das Thermometer zeigt 15° – innen. Außen kommt dann Feuchtigkeit und Fahrtwind dazu. Also lieber eine Schicht mehr. Strom abstecken, die Leinen so vorbereiten, dass man trotz Morgendusel beim Ablegen nichts falsch machen kann. Pasarella hoch ziehen und festbinden.

Dann gehe ich wieder ins Schiff, um Susi zu wecken. Da fällt mir auf, dass die Borduhr 03:25 Zeit! Ich checke das mit meiner Armbanduhr – auch 03:25. Was ist da los? Klar, das Tablet ist noch auf griechische Zeit eingestellt, und die sind den Italienern um eine Stunde voraus. Und was mach ich jetzt? Ausziehen und niederlegen? Wegfahren? Ich entscheide mich für’s Wegfahren – und zwar solo. Nicht dass ich Susi augenblicklich über Bord werfe, aber ich lasse sie im Bett. Es ist überhaupt kein Wind und viel Platz. Außerdem ist niemand da, den ich stören könnte.

Motor starten, Navigationslichter einschalten, Bugleinen lösen, Heckleinen lösen und ich schleiche durch den Hafen, im Leerlauf und ganz langsam. So habe ich Zeit die Umgebung zu prüfen und könnte jederzeit abbremsen oder ausweichen. Am Tablet ist noch unsere Spur vom Hereinfahren gespeichert. Der fahre ich einfach nach, bis ich zwischen den beiden Leuchtfeuern der Hafeneinfahrt bin. Was ich schon im Hafen gehört habe, laute brechende Wellen, zeigt sich jetzt auch. Also es zeigt sich eigentlich nichts, denn es ist stockdunkel, aber ich spüre die hohen Wellen vor der Einfahrt. Sobald wir in tiefes Wasser kommen, wird sich das ein wenig beruhigen. Vor mir liegt das Meer, hinter mir die Stadt Vieste und Italien, und in der Bugkabine liegt Susi. Sie muss sich eine neue Schlafposition suchen, denn der Bug ist der Ort, der sich bei einem Schiff am meisten bewegt.

Wenn ich zurückschaue, sehe ich den Leuchtturm, der mit seinem Lichtfinger den Seefahrern den Weg weist. Wenn ich nach vor schaue, sehe ich aber auch einen Lichtstrahl der sicher nicht von Vieste kommen kann. Palagruzza? Palagruzza ist eine Insel auf halbem Weg nach Vis, schon kroatisch. Natürlich gibt es dort ein Leuchtfeuer, aber das sieht man „nur“ 14 Meilen weit und wir sind fast doppelt so weit entfernt. Kann das wirklich Palagruzza sein? Muss es! Da zeichnet sich der Lichtstrahl in den niedrigen Wolken ab, lange bevor ich das Feuer sehen kann. Gut, dort muss ich also hin.

Ich hab mit Susi vereinbart, dass die Segeln drinnen bleiben bis es hell ist. Daher die ersten Stunden Motorfahrt, außerdem ist der Wind eh zu schwach. Durch meinen Fehler mit dem Wecker, heißt das jetzt eine Stunde länger Lärm machen – na, soll sein. Ich wechsle häufig von oben nach unten. Oben, im Cockpit schaue ich, ob ich die Lichter andere Schiffe sehe. Ja eines, so hell wie das ist, ist das wahrscheinlich eine Passagierfähre und die ist schnell und weit weg – keine Gefahr.

Unten schaue ich auf den Kartenplotter, die elektronische Seekarte. So ähnlich wie das GPS im Auto, aber mit mehr Funktionen. Eine ist das Radar, dass mir alle Schiffe zeigt, die sich im Umkreis von 12 Meilen herumtreiben. Regen könnte es mir auch zeigen, aber da ist keiner. Und dann ist da noch das AIS = automatic identification system. Da senden die Schiffe Daten über ihren Kurs und ihre Geschwindigkeit aus. Mein Gerät zeigt die Position der Schiffe am Kartenplotter an. Außerdem, und das ist der eigentliche Sinn der Sache, berechnet es, welche Schiffe mir wann wie nahekommen. Ist es zu nahe, gibt es einen Alarm. Sehr sehr praktisch, besonders bei Nacht oder bei schnellen Schiffen. Die Schnellfähren sind immerhin mit 26 kt unterwegs, Da abzuschätzen, ob sie vor oder hinter mir vorbei fahren werden, und  wie nahe sie mir dabei kommen, ist schlichtweg unmöglich. Die Daten und ein wenig Mathe und das Rätsel ist zuverlässig gelöst.

Mond ist heute keiner mehr zu sehen, an den Sternen erkenne ich, dass die Wolken weniger werden – gut so! Und dann zeigt sich ein erster Schimmer am Horizont. Jaaa, ich weiß, bis die Sonne tatsächlich kommt, dauert es noch ewig. Aber irgendwann ist es dann so hell, dass ich das Meer rundum gut erkennen kann: Die Wellen haben „normale“ rundeFormen und angenehme Höhen angenommen und der Wind hat auch zugelegt, ein bisschen, genauso wie wir das wollten. Kurz vor Sonnenaufgang setze ich die Segel – ich sagte „wenn es hell wird“, also darf ich. Inzwischen ist Susi zu mir ins Cockpit gekommen, schaut sich den Sonnenaufgang an und schleicht wieder in die Kajüte.

Und wir gleiten lautlos über das Meer. Schön wär’s. Klar, der Motor macht keinen Lärm, aber wenn sich Wellen in den Weg stellen, werden die von Philia geteilt. Dann spritzt es heftig. Jedesmal wenn höhere Wellen und Philia in Streit geraten, gibt es ein heftiges Aufklatschen des Rumpfs auf das Wellental. Das macht richtig Krach und kostet jedesmal 1 bis 1,5 kt Geschwindigkeit. Trotzdem läuft Philia mit gut 5 kt ganz stabil ihre Bahn, selbst der Autopilot hat wenig zu tun. Sehr fein! Und im Dunst vor uns sehen wir schon Palagruzza, und hinter uns noch Italien. Wir haben also nicht das Gefühl am offenen Meer ganz alleine zu sein, sondern wir fahren von Land zu Land.

So zwei Stunden vor Palagruzza wird es spannend: Wir überqueren eine Schnellstraße für schwimmende Schwerfahrzeuge. Normalerweise müssen die den Seglern ausweichen, ja die großen machen das wirklich. Dass sie uns am AIS sehen, hilft natürlich sehr. In der Schnellstraße, eigentlich heißt das „Verkehrstrennungsgebiet“ müssen aber wir den anderen die Vorfahrt lassen. Und da sind so einige unterwegs heute. Bis auf 350 m, 1 1/2 Rumpflängen von den Großen, kommen sie uns nahe. Sieht nicht sehr gemütlich aus, wenn so ein Containerschiff direkt auf einen zukommt. Kompass Radar und AIS beruhigen uns aber wieder.

Vor lauter Großschifffahrt haben wir nicht bemerkt, dass die Wellen immer weniger geworden sind. Hauptsächlich Dünung kommt noch vorbei. Dünung, das sind die langen runden Wellen, die uns langsam emporheben und sanft wieder absetzen. Wobei „empor“ ist relativ. Unsere Dünung ist kaum ½ Meter hoch. Gut so, denn das stört Philia nun nicht mehr und die Fahrt steigt auf fast 6 Knoten an. 6 Knoten, Sonnenschein, kaum Welle, eine Stunde Vorsprung – wozu so eine Zeitumstellung auch gut sein kann – herrlich. So kann es noch lange weiter gehen.

Palagruza: 1 Felsen, 1 Leuchtturm, 1 Mobilfunkmast

Palagruzza zieht vorbei, die ersten Umrisse von Vis werden erkennbar, Italien verschwimmt im Dunst. Zeit für ein Mittagessen. Nudelsalat wird es. Bei dem Schwankenden Schiff und konstant 15 ° Schräglage nicht ganz einfach, aber gut machbar. Irgendwie rechnet mein Hirn die Schräglage weg, nur die Bodenhaftung hält mich nicht immer am Platz. Und das Hantieren mit Wasser ist gefährlich, besonders mit heißem. Das folgt nämlich nicht dem zurechgerechneten Raum, sondern immer noch der Schwerkraft. Das rinnt dann eben woanders hin als man vorhat.

Wir genießen unbeschwerte Stunden im Cockpit, ich mach mal eine Schlafpause in der Kajüte – immerhin bin ich schon seit 3 Uhr wach und der Tag wird noch dauern. Der Plotter berechnet eine Ankunftszeit im Hafen von Vis für 18:30 – vorausgesetzt, wir können die Geschwindigkeit halten. Und bis wir an der Südost-Ecke von Vis angekommen sind, gelingt das auch – unglaubliche 5,3 kt Durchschnittsgeschwindigkeit über fast 60 Meilen! Im Windschatten der Insel nimmt der Wind ab, so dass wir kaum 3,3 kt fahren können. Da kämen wir in die Dunkelheit, was in einem fremden Hafen nicht so fein ist. Wir nehmen wieder den Diesel zur Hilfe. So erleben wir genau vor der Einfahrt in die Bucht, wie die Sonne wieder im Meer verschwindet. Punktlandung!

Punktlandung, gleich nach der Landzunge ist die Einfahrt nach Vis

Kurz vor dem Ort Vis kommt ein Motorboot auf uns zu: „Both Marinas are full, no space for more boats. Go to a buoj“ Unser Hinweis, dass wir unter der kroatischen Flagge auch die gelbe Flagge führen, also erst einklarieren (einreisen) müssen und daher zur Zollmole fahren müssen, wird ignoriert. „There is no customs pier, since years“. Nun denn, eine Nacht an der Boje ist auch nicht schlecht, es sind ja genügend frei. Wir werden das morgen beim Hafenmeister und der Polizei schon klären können. Das Manöver die Boje zu „fangen“ und Philia fest zu machen gelingt wie im Bilderbuch.

Angekommen – fertig – Pause und 10 Stunden schlafen

Mindestens!

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